Familienbande: Erwin Gyger und seine Tochter Romy führen das Familienunternehmen Contec in zweiter und dritter Generation.

Contec

Massanzüge für den Bau

Blumen, Schmetterlinge, Libellen: auf dem Dach der Firma Contec im bernischen Uetenorf lebt Biodiversität. Ein Garten mit Glyzinien, ein Brunnen mit Teich und viel Grün. Der «Dschungel», wie Inhaber Erwin Gyger das nennt – angelegt auf dem Flachdach der Produktionshallen und mehr als ein Hobby. Ein lebendiger Showroom für das Hauptprodukt des Hauses: synthetische Kautschukabdichtungen für Flach- und Nacktdächer – neuerdings komplett digital. Simpel gesagt: Contec dichtet Bauten mit Gummi ab. Und das virtuos.

Seit 2010 ist die Produktion digitalisiert und das hat die geschäftlichen Möglichkeiten potenziert: nicht nur Flachdächer bekommen ihren Kautschuk übergestülpt, sondern auch Wände, ja sogar Kuppeln oder asymmetrische und gewellte Bauten. Kein Hexenwerk, sondern Segen der Digitalisierung: die Masse eines zu bearbeitenden Daches kommen elektronisch auf den Tisch der Contec-Hochbauzeichner, die heute auch IT-Spezialisten sind. Im Computer entsteht daraus ein 3D-Modell des Endprodukts aus Kautschuk und die so errechneten Daten werden direkt in Spezialmaschinen in der Fabrikation eingespeist – Futter für den so genannten Plotter, der die zu verarbeitenden Teile millimetergenau und in Originalgrösse aus Gummibahnen schneidet. An den Kanten wird der Kautschuk «vulkanisiert», die einzelnen Bahnen so homogen miteinander verbunden. Das fertige Produkt wird dann am Ort der Bestimmung einfach entrollt –und es passt. Welch ein Fortschritt zu früher, wo zunächst vor Ort mit Stock und Schnur ausgemessen, in der Produktion mühselig zurechtgeschnitten und dann in der Endmontage wohl meist nachgebessert werden musste.

Grüne Oase mitten im Industriegebiet: Das Flachdach von Contec ist zugleich auch ein Showroom der zeigt, wie moderne Flachdächer begrünt werden können.

Handarbeit: Ecken und Kanten werden auf den Millimeter genau zugeschnitten und vulkanisiert.

Grosszügig: In der 95 Meter langen Produktionshalle werden die vorkonfektionierten Kautschukbahnen miteinander verschmolzen.

Digitale Büroarbeit: Am Bildschirm werden die Daten für die Produktion aufbereitet.

Das Herz der Anlage: Die CAD-Daten werden auf den Plotter übertragen, der dann massstabgerecht zuschneidet.

«Wir sind weltweit einmalig», sagt Erwin Gyger, der Stolz in der Stimme schwingt mit seinen Worten um die Wette. Seit 2010 hat Contec mit der Digitalisierung ihr jährliches Auftragsvolumen auf 4500 Projekte verdoppelt. «Heute sind wir fünfmal schneller», sagt der Chef «und produzieren erst noch Massanzüge.» Und in der schönen neuen digitalen Welt liegt noch viel mehr drin. Sind sämtliche Bauherren und Zulieferer einmal ähnlich digital wie Contec schon heute, rückt eine komplette digitale Kette auf dem Bau aus der Utopie in die Realität – alle Daten auf einem zentralen Server würde bedeuten, dass ein Dach, eine Kuppel, eine Wölbung vom Bürosessel aus ohne Zwischenschritte und Abweichungen komplett produziert werden kann.

Massanzüge für den Bau: Video-Portrait

Diese Zukunft ist für Contec bereits Gegenwart. Als am ETH-Institut für Technologie in der Architektur das gänzlich von Robotern hochgezogene Gebäude Arch_Tec-Lab erstellt wurde, lieferte Gygers Firma die Dachabdeckung. «So etwas wäre früher nicht herzustellen gewesen», sagt der Chef und zeigt im Zeichenbüro wie das Dach am Bildschirm digitalisiert und dann millimetergenau berechnet wurde. Eine hochkomplexe Angelegenheit: das Dach sieht aus der Vogelperspektive aus wie vier nebeneinander schwimmende Walbuckel mit gewellter Oberfläche und hunderten von Noppen darauf. Dank Digitalisierung wird diese Abdeckung wie am Schnürchen und aus einem Guss hergestellt: ETH-Architekten liefern die Daten ins bernische Uetendorf. Dort wird die komplexe Dachkonstruktion im 3D-Format berechnet, mit den Daten das CAD-Computerprogramm gefüttert und damit die Schneidemaschine in Gang gesetzt. Das fertige Dach wird von spezialisierten Partnerbetrieben an ihrem Bestimmungsort montiert. «Das», sagt Erwin Gyger, «ist eine Revolution auf dem Bau». Und auch für die Belegschaft, die jetzt um ihre Jobs zu fürchten hat?

 

Viele seien am Anfang skeptisch gewesen. «Bis auf einen konnte ich alle davon überzeugen, dass wir alle von der Digitalisierung der Produktionsprozesse und deren  Umstellung auf CAD-Programme profitieren würden», sagt Gyger, und dafür hat der Unternehmer rund 650 000 Franken investiert. Heute zählt Contec 56 Mitarbeitende, ein Drittel mehr als noch zu analogen Zeiten. Verändert haben sich hingegen die gesuchten Mitarbeiterprofile: heute braucht die Contec verstärkt CAD-kundige IT- Mitarbeiter, die die Spezialprogramme bedienen können.

 

Inzwischen steht auch Gygers Tochter Romy in der unternehmerischen Verantwortung. Sie schwärmt von BIM, was so viel heisst wie «Building Information Modeling». Was kryptisch klingt, ist im Grunde so etwas wie die totale Digitalisierung: ein 3D-Modell eines Gebäudes besteht zukünftig aus den gebündelten Daten aller beteiligten Spezialisten -  Architekten, Ingenieure, Elektriker, Baufachleute, Dachkonstrukteure: «so wird ein Haus in Zukunft effizient entworfen und gebaut», sagt Romy Gyger, «und die Bauqualität wird massiv verbessert.» Während die Juniorchefin dies sagt, blickt sie vom grünen «Dschungel» auf dem Contec-Firmendach in die Weite – so als wollte sie sagen: die Chancen in der digitalen Welt sind fast uferlos.

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